Die psychologische Schlüsselrolle bei der Rehabilitation von Sportverletzungen

„Am Wichtigsten in der Therapie ist, dass der Athlet vollständig davon überzeugt ist, dass sie wirkt. Sekundär ist dann, was wirklich individuell therapiert wird.“

Hinter dieser Aussage steht eine bedeutende Sammlung an Evidenz aus den kognitiv-affektiven Neurowissenschaften sowie der Rehabilitationspsychologie. Sie fasst eine grundlegende Erkenntnis in der Rehabilitation von Sportverletzungen zusammen: Der Glaube eines Athleten an die Wirksamkeit der Therapie ist oft entscheidender als die spezifische Methode, die angewendet wird. Dies zeigt, wie wichtig die psychologische Dimension für den Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme ist und legt somit auch die Grundlage für eine praxisorientierte psychologische Ausbildung in den Therapieberufen.

Hintergrund und Relevanz

Sportverletzungen betreffen nicht nur die körperliche Verfassung eines Athleten, sondern auch seine psychische Einstellung zur Rehabilitation. Forschungen zeigen, dass die psychologische Einstellung, insbesondere das Mindset, einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg der Therapie hat [1,2]. Athleten mit einem Growth Mindset – also der Überzeugung, dass sie durch Anstrengung Fortschritte machen können – neigen dazu, Rückschläge als Teil des Prozesses zu akzeptieren und sich weiter zu engagieren. Neben diesen Überzeugungen spielt auch die Erwartungshaltung, wie der Erfolg der Therapie eingeschätzt wird, ebenfalls eine wichtige Rolle für die tatsächlichen Ergebnisse [3,4].

Bedeutung von Mindsets in der Rehabilitation

Fixed Mindset vs. Growth Mindset

Ein Fixed Mindset (statisches/fixes Denkmuster) äußert sich bei einem verletzten Athleten in typischen pessimistischen Gedanken/Überzeugungen, welche zu entsprechenden Verhaltensweisen führen. Er ist der Auffassung, dass er in seinem aktuellen Zustand unverändert bleibt und sein Leistungsniveau nicht wieder erreichen kann, auch durch harte Arbeit. Indem die Verletzung als persönliches Versagen angesehen wird, ist zudem das Selbstwertgefühl negativ beeinflusst. Durch seine Denkmuster wird er weniger aktiv in der Therapie mitarbeiten, da es an Motivation und Disziplin fehlt. Bei Rückschlägen, oder einem langsameren Heilungsprozess, wird leicht aufgegeben und das Vertrauen in die Therapie kann schnell verloren gehen. Fehlende Anpassungsfähigkeit und Offenheit für Neues im Bereich der Persönlichkeitseigenschaften führen zudem zum Ignorieren von weniger belastenden Trainingsmethoden, etwa mentalem Training oder Übungen zur motorischen Kontrolle. Die Angst vor Misserfolg ist insgesamt sehr präsent, sodass auch die Rückkehr in den Sport von Schonhaltung und Unsicherheit geprägt ist.

Athleten mit einem Growth Mindset (dynamisches/wachstumorientiertes Denkmuster), sind davon überzeugt, dass Fähigkeiten durch Anstrengung verbessert werden können. Des Weiteren werden Rückschläge als Teil des Lernprozesses angesehen. Da sie Rückschläge im Rehabilitationsprozess überwinden und ihre Heilung proaktiv vorantreiben, können Athleten mit diesem Denkmuster bessere Rehabilitationsergebnisse erzielen [2].
→ Man könnte denken, dass Sportler dieses Mindset bereits haben, jedoch ist ihre Erfahrung in der erfolgreichen Rehabilitation von Verletzung meist begrenzt, gerade wenn sie noch unerfahren sind. Hier können wir in der Intervention ansetzen.

Das Stress-Mindset meines Athleten kennen lernen

Wie ich Stress für mich wahrnehme beeinflusst direkt die physiologischen und psychologischen Reaktionen [1]. Ein Stress-is-enhancing-Mindset, bei dem Stress als Herausforderung und nicht als Belastung gesehen wird, führt zu besseren Ergebnissen während der Rehabilitation. Interessant ist hier, dass ein verändertes Mindset auch nachweislich zu physiologischen Veränderung im Bereich der Bio- und Neurogenese führt, somit tatsächlich strukturelle Heilungsprozesse beeinflusst.
→ Eine schwere Verletzung ist immer ein Trauma für das eigene Nervensystem, wodurch viele Arten von Stress erzeugt werden. Unsere Patienten brauchen aktive Unterstützung diesen Stress positiv zu nutzen.

Placebo- und Erwartungseffekte

Die Erwartungshaltung eines erfolgreichen Therapieverlaufs kann die tatsächlichen Ergebnisse beeinflussen. Auf psychologischer Ebene bei z.B. Motivation/Compliance wissen wir das schon lange. Doch auch physiologische Reaktionen, wie z.B. Entzündungsparameter lassen sich durch eine veränderte Therapieerwartung beeinflussen [5]. Bei Therapieanwendungen ohne direkte Wirksamkeit kennen wir das als Placebo-Effekt. Doch addieren sich Placebo- und Verum-Effekt (die „reale“ Wirkung) einer Therapiemethode? Und wie können wir das praktisch Nutzen? Hierzu später mehr.

Messung von Mindsets

Warum die Messung wichtig ist

Die Erfassung von Mindsets vor und während der Rehabilitation bietet wertvolle Informationen über die psychologische Ausgangslage des Athleten und ermöglicht zielgerichtete Interventionen [6]. Eine regelmäßige Messung hilft, den Fortschritt zu überwachen und Anpassungen vorzunehmen.

Messinstrumente für Mindsets

  • Selbsterstellte Fragebögen oder direkte Fragen: Ein einfacher Ansatz besteht darin, selbstentwickelte Fragebögen mit positiv und negativ formulierten Fragen zu verwenden [7,8]. Alternativ kann man auch einfach direkte Fragen stellen wie z.B.:
    Auf einer Skala von 0 (wenig) bis 10 (sehr)…
    …wie überzeugt bist du, dass du am Ende der Therapie deine bisherigen Leistungen übertreffen kannst?
    …wie wahrscheinlich siehst du es an, dass du innerhalb eines Jahres nach Ende der Therapie wieder eine schwere Verletzung hast?
    …wie überzeugt bist du davon, dass der von uns gemeinsam gewählte Therapieansatz deine Ziele erreicht?
  • Validierte Fragebögen in deutscher Sprache: Der TEX-Q [9]  [DEUTSCHE VERSION]  ist ein validiertes Instrument zur Messung von Behandlungserwartungen.
  • Spezifische Messinstrumente für den Sport: Die ACL-RSI-Skala [10] [DEUTSCHE VERSION] wurde speziell entwickelt, um die Selbstsicherheit und Erwartung von Wiederverletzung nach Kreuzbandriss zu überprüfen.
    Bei generellen Sportverletzungen kann der Injury-Psychological Readiness to Return to Sport (I-PRRS) [11] [DEUTSCHE VERSION] genutzt werden
  • Alternativen in englischer Sprache: Die Stanford Expectations of Treatment Scale (SETS)  [12] ist für Patienten im Bereich medizinisch-psychologischer Behandlung entwickelt worden.
    Der Expectation About Athletic Training (EAAT) [13] erfasst speziell die Erwartungen von Athleten an das Reha- und Athletiktraining.
    Der Carolina Sport Confidence Inventory (CSCI) [14] misst das generelle Selbstvertrauen im Sport, welches bei hoher Therapieerwartung schneller gesteigert wird, als bei niedriger.

Mindset Intervention

Änderst du ein Mindset, änderst du viele

Die Mindsets, also Grundüberzeugungen zu verschiedenen Dingen im Bereich Gesundheit, Verletzungen, Sport und Entwicklung hängen eng zusammen[15]. Wenn ein Patient z.B. in seinem Bekanntenkreis viele Menschen hat, die auf Grund Ihrer Gonarthrose mit dem Joggen aufgehört haben, wird er selbst bei dieser Diagnose davon ausgehen mit dem Joggen aufhören zu müssen, da es als die einzig sinnvolle Lösung erscheint. Diese Grundüberzeugung überträgt sich aber auch in andere Bereiche der Gesundheit & Bewegung, in denen der Patient überzeugt sein wird, dass z.B. Vermeidung oder Sportpause die einzige Lösung ist.

Möglichkeiten Mindsets zu verändern, gezielte Kommunikation ist gefragt!

  • Informationen und Wissen vermitteln: Es hilft herauszufinden woher dein Patient sich sein Wissen in anderen Lebensbereichen zieht. Aus akademischen Zeitschriften und wissenschaftlichen Quellen? Dann kläre ihn über Forschungsergebnisse auf. Zieht er sein Wissen eher von Freunden und Bekannten, dann erzähle ihm von deinem Wissen, deinen Erfahrungen und deiner Ausbildung. Gerade wenn dich dein Patient nicht nur als kompetent, sondern auch als wirklich interessiert an seiner Gesundheit wahrnimmt, wird sich sein Mindset dadurch gut verändern lassen [5]
  • Framing von Informationen: Stelle die Informationen, die du vermittelst in ein möglichst gutes Licht. Erzähle deinem Patienten von deinen eigenen Erfahrungen oder denen mit anderen Patienten. Eine sehr effektive Variante ist es auch bisherige Patienten als Testimonials zu verwenden und z.B. eine Videodatenbank mit kleinen Interviews zu erstellen, auf die jeder neue Patient zugreifen kann [16].
  • Framing von Informationen: Stelle die Informationen, die du vermittelst in ein möglichst gutes Licht. Erzähle deinem Patienten von deinen eigenen Erfahrungen oder denen mit anderen Patienten. Eine sehr effektive Variante ist es auch bisherige Patienten als Testimonials zu verwenden und z.B. eine Videodatenbank mit kleinen Interviews zu erstellen, auf die jeder neue Patient zugreifen kann [16].
  • Reduktion von Ängsten: Sprich mit deinem Sportler über Ängste und Zweifel bzgl. der Therapie und möglichen Ergebnissen. Wenn du seine Bedenken kennst kannst du darauf eingehen.
  • Stelle die Stärken deines Patienten heraus: Viele Mindsets entwickeln sich parallel zum Selbstvertrauen, daher ist es deine Aufgabe die physischen und psychologischen Stärken deines Patienten zu kennen sowie hervorzuheben. Sag ihm was er gut kann und erkläre ihm was er besser machen kann!
  • Stelle deine Kompetenz und Verbundenheit heraus: Die Basis für eine gute Mindset-Intervention ist zum einen, dass dich dein Patient als für seinen Fall fachlich kompetent wahrnimmt, zum anderen aber auch authentisch spürt, dass dir sein Wohlergehen wichtig ist. Wärme und Empathie für seine Situation und Wünsche helfen dir sein Mindset anzupassen.
  • Soziale und kulturelle Herkunft beachten: Mindsets sind oft schon von den Eltern und der Kindheit an geprägt. Erfahren wir etwas über unsere Patienten, ihre Herkunft und ihre Umfeld, gibt uns das weitere Ansatzpunkte zur Veränderung.
  • Schnelle Intervention, jedoch langsame Festigung: Mit einem gezielten Gespräch kannst du das Mindset deines Patienten evtl. schon direkt verändern. Willst du aber, dass es so bleibt, musst du es über einen längeren Zeitraum immer wieder stärken und wachsen lassen. Wir sollten unsere Mindset Intervention also immer als ein langfristiges Projekt ansehen, dass zwar schnelle Ergebnisse bringt, jedoch endgültig ein Prozess ist, den wir in jeder Therapieeinheit ein bisschen pflegen sollten.
  1. Crum, A. J., Salovey, P., & Achor, S. (2013). Rethinking stress: The role of mindsets in determining the stress response. Journal of Personality and Social Psychology, 104(4), 716–733. https://doi.org/10.1037/a0031201
  2. Dweck, C. (2008). Mindset: The new psychology of success (Ballantine books trade paperback ed). Ballantine Books.
  3. Carroll, L. J., Lis, A., Weiser, S., & Torti, J. (2016). How Well Do You Expect to Recover, and What Does Recovery Mean, Anyway? Qualitative Study of Expectations After a Musculoskeletal Injury. Physical Therapy, 96(6), 797–807. https://doi.org/10.2522/ptj.20150229
  4. Glass, C. R., Arnkoff, D. B., & Shapiro, S. J. (2001). Expectations and preferences. Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training, 38(4), 455–461. https://doi.org/10.1037/0033-3204.38.4.455
  5. Howe, L. C., Goyer, J. P., & Crum, A. J. (2017). Harnessing the placebo effect: Exploring the influence of physician characteristics on placebo response. Health Psychology, 36(11), 1074–1082. https://doi.org/10.1037/hea0000499
  6. Yeager, D. S., & Dweck, C. S. (2012). Mindsets That Promote Resilience: When Students Believe That Personal Characteristics Can Be Developed. Educational Psychologist, 47(4), 302–314. https://doi.org/10.1080/00461520.2012.722805
  7. Cohen, L., De Moor, C., & Amato, R. J. (2001). The association between treatment-specific optimism and depressive symptomatology in patients enrolled in a Phase I cancer clinical trial. Cancer, 91(10), 1949–1955. https://doi.org/10.1002/1097-0142(20010515)91:10<1949::AID-CNCR1218>3.0.CO;2-A
  8. Matzka, M., Köck-Hódi, S., Jahn, P., & Mayer, H. (2018). Relationship among symptom clusters, quality of life, and treatment-specific optimism in patients with cancer. Supportive Care in Cancer, 26(8), 2685–2693. https://doi.org/10.1007/s00520-018-4102-8
  9. Alberts, J., Löwe, B., Glahn, M. A., Petrie, K., Laferton, J., Nestoriuc, Y., & Shedden-Mora, M. (2020). Development of the generic, multidimensional Treatment Expectation Questionnaire (TEX-Q) through systematic literature review, expert surveys and qualitative interviews. BMJ Open, 10(8), e036169. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2019-036169
  10. Webster, K. E., & Feller, J. A. (2018). Development and Validation of a Short Version of the Anterior Cruciate Ligament Return to Sport After Injury (ACL-RSI) Scale. Orthopaedic Journal of Sports Medicine, 6(4), 2325967118763763. https://doi.org/10.1177/2325967118763763
  11. Dluzniewski, A., Casanova, M. P., Ullrich-French, S., Brush, C. J., Larkins, L. W., & Baker, R. T. (2024). Psychological readiness for injury recovery: Evaluating psychometric properties of the IPRRS and assessing group differences in injured physically active individuals. BMJ Open Sport & Exercise Medicine, 10(2), e001869. https://doi.org/10.1136/bmjsem-2023-001869
  12. Younger, J., Gandhi, V., Hubbard, E., & Mackey, S. (2012). Development of the Stanford Expectations of Treatment Scale (SETS): A tool for measuring patient outcome expectancy in clinical trials. Clinical Trials, 9(6), 767–776. https://doi.org/10.1177/1740774512465064
  13. Quartey, J., Afidemenyo, S., & Kwakye, S. K. (2019). Athletes’ expectations about physiotherapy in sports injury rehabilitation in greater Accra region. Hong Kong Physiotherapy Journal, 39(02), 101–114. https://doi.org/10.1142/S1013702519500094
  14. Manzo, L. G., Ilva, J. M., & Mink, R. (2001). The Carolina Sport Confidence Inventory. Journal of Applied Sport Psychology, 13(3), 260–274. https://doi.org/10.1080/104132001753144400
  15. Crum, A., & Zuckerman, B. (2017). Changing Mindsets to Enhance Treatment Effectiveness. JAMA, 317(20), 2063. https://doi.org/10.1001/jama.2017.4545
  16. Schroder, H. S. (2021). Mindsets in the clinic: Applying mindset theory to clinical psychology. Clinical psychology review, 83, 101957.https://doi.org/10.1016/j.cpr.2020.101957

Der Autor

Dr. Marc Niering
Dr. Marc NieringSport- und Neurowissenschaftler
Marc Niering ist seit 2021 bei Nordic Science als wissenschaftliche Leitung tätig. Er lehrt in den kognitiv-affektiven Neurowissenschaften, der Neurorehabilitation und Sportmedizin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Auswirkungen von kognitiven Stimuli auf Schmerz, Bewegung und Leistung sowie darauf aufbauende Therapieverfahren in der Neurorehabilitation.