Was ist Mind-Wandering?

Als Mind-Wandering lässt sich grundsätzlich das unbewusste Abschweifen von Gedanken beschreiben. Erst im Nachhinein wird das Abschweifen häufig selbst erkannt.

Besonders anfällig für dieses Phänomen sind laut Kane et al. (2007) vor allem Personen mit einer hohen Kapazität des Arbeitsgedächtnisses.

Mögliche Auslöser nach Kane et al. (2007) und Smallwood & Schooler (2015)

  • Häufig bekannte Aufgaben
  • Stress
  • Unbehagen
  • Chaos und wenig Struktur
  • Langweilige, unterfordernde Situationen

Ein Beispiel aus unserer Praxis

Ein achtjähriger Junge, nennen wir ihn Stefan, ist hochintelligent, leidet jedoch an Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration. Das häufige unbewusste Abschweifen seiner Gedanken führt dazu, dass er für alltägliche Dinge mehr Zeit benötigt als normalerweise üblich.

Er spielt dreimal die Woche Fußball und schweift auch dabei häufig mit seinen Gedanken ab und verpasst somit Traineransprachen. Stefan ist sich dessen bewusst, jedoch bemerkt er es immer erst danach oder wenn er ermahnt wird. Dies zieht sich durch alle Situationen des Lebens, sowohl zuhause, im Fußballverein, als auch in der Schule oder mit Freunden. Durch diese immer wieder auftretenden Situationen fühlt er sich stark beeinträchtigt, es nervt und beschäftigt ihn nahezu täglich.

Auch wenn es ein Symptom von ADHS ist, wieso betrifft es auch Kinder ohne ADHS?

Stefan aus unserem Beispiel zeigte zwar teilweise Symptome von ADHS, jedoch nicht in pathologischen Umfang oder Ausprägung, sodass hier eine gesicherte Diagnose gestellt werden kann. Frick et al. (2020) und Goncalves et al. (2018) beschreiben, dass insbesondere diese Symptomatik häufig bei intelligenten Kindern, unabhängig von anderen ADHS Symptomen auftritt. Sie beschreiben, dass die Betroffenen den richtigen Umgang mit dem Mind-Wandering erlernen und Kontrolle darüber erlangen sollten. Die Autoren halten fest, dass Kindern häufig das „Mind-Wandern“ von Eltern, Lehrern oder Betreuungspersonen in Form von „konzentrier dich jetzt mal!“ verboten wird, da sie dieses Phänomen nicht verstehen.

Wie kann man Betroffene auf das Mind-Wandering aufmerksam machen?

Arnau et al. (2020) beschreiben hierfür zwei Möglichkeiten:

  • Die Selbstwahrnehmungsmethode: Der Betroffene stellt selber fest, wann seine Gedanken abschweifen und äußert dies entsprechend.
  • Die Probetechnik: Dem Patienten werden während einer Aufgabe immer wieder Fragen gestellt, die sich auf seine letzten Gedanken beziehen. Außerdem sollen komplexe Aufgaben seltener zu einem Mind-Wandering führen als alltägliche Aufgaben.

Welche Therapieverfahren könnten hilfreich sein, um das Mind-Wandering einzudämmen?

  • Das regelmäßige Überprüfen der eigenen Gedankeninhalte kann helfen, Mind-Wandering einzudämmen und eine Meta-Awareness zu entwickeln.
  • Die Fähigkeit das Abschweifen im Nachhinein selbst zu erkennen und frühzeitig zu bemerken, wenn das Mind-Wandering beginnt.
  • Das Setzen von Körper-Ankern, die in speziellen Situationen ein Mind-Wandering unterbinden kann in wichtigen Situationen helfen aufmerksam zu bleiben.

Wie können die Eltern unterstützen?

  • Eltern sollten verstehen, dass das Mind-Wandering eine kognitive Kompensationsstrategie ist, die dem Kind ermöglicht überschüssige Leistungsfähigkeit zu nutzen.
  • Dem Kind sollte nicht verboten werden Mind-Wandering zu betreiben, man sollte es jedoch unterstützen dies in den passenden Momenten zu tun.
  • Betreuungspersonen wie z.B. Lehrer oder Vereinstrainer sollten für die erhöhten Bedürfnisse des Kindes sensibilisiert werden und falls möglich anspruchsvollere Aufgaben verteilen oder das Kind komplexeren Situationen aussetzen.

Achtsamkeit und Körperwahrnehmung als Ergänzung

  • Kurze (5-8 Min) Achtsamkeitsübungen wie Atemübungen oder Übungen zur Körperwahrnehmung können in die Trainingseinheiten oder den Alltag des Patienten integriert werden, um die eigenen Gedanken besser kontrollieren zu können. Ein spezifisches Beispiel hierfür ist das Kinderyoga, das zur Achtsamkeit und Konzentrationsförderung eingesetzt wird. Die gesteigerte Achtsamkeit kann die Symptomatik nachhaltig positiv beeinflussen.

Beispielmethodik eines Therapieprogramms

60 minütige Therapieeinheit, bestehend aus:

  • 20 Minuten Reflexion der letzten Tage bezüglich Abschweifungen
  • 20 Minuten Integrieren von Dual-Tasks in Alltagssituationen (z.B. Schuhe binden in unter 20 Sekunden)
  • 20 Minuten sportliche Aktivitäten mit gezielter Aufmerksamkeitslenkung

Hausaufgaben:

  • Situationen erkennen und erlernte Körper-Anker nutzen
  • Spaßiger Achtsamkeitsspaziergang mit bewusster Schärfung der Körper- und Sinneswahrnehmung. Z.B. mit geschlossenen Augen verschiedene Tierarten in der Umgebung ausmachen oder die eigene Atmung der Schrittfrequenz anpassen (z.B. 6 Schritte lang einatmen, 10 Schritte lang ausatmen)

Arnau, S., Löffler, C., Rummel, J., Hagemann, D., Wascher, E., & Schubert, A. L. (2020). Inter‐trial alpha power indicates mind wandering. Psychophysiology, 57(6), e13581. https://doi.org/10.1111/psyp.13581

Feruglio, S., Matiz, A., Pagnoni, G., Fabbro, F., & Crescentini, C. (2021). The impact of mindfulness meditation on the wandering mind: a systematic review. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 131, 313-330. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2021.09.032

Frick, M.A., Asherson, P. and Brocki, K.C. (2020), Mind-wandering in children with and without ADHD. Br J Clin Psychol, 59: 208-223. https://doi.org/10.1111/bjc.12241

Kane, M. J., Brown, L. H., McVay, J. C., Silvia, P. J., Myin-Germeys, I., & Kwapil, T. R. (2007). For whom the mind wanders, and when: An experience-sampling study of working memory and executive control in daily life. Psychological science, 18(7), 614-621. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2007.01948.x

Mrazek, M. D., Smallwood, J., & Schooler, J. W. (2012). Mindfulness and mind-wandering: Finding convergence through opposing constructs. Emotion, 12(3), 442–448. https://doi.org/10.1037/a0026678

Gonçalves, Ó.F., Carvalho, S., Mendes, A.J. et al. Neuromodulating Attention and Mind-Wandering Processes with a Single Session Real Time EEG. Appl Psychophysiol Biofeedback43, 143–151 (2018). https://doi.org/10.1007/s10484-018-9394-4

Thompson, M., & Gauntlett-Gilbert, J. (2008). Mindfulness with Children and Adolescents: Effective Clinical Application. Clinical Child Psychology and Psychiatry, 13(3), 395–407. https://doi.org/10.1177/1359104508090603

Smallwood, J., & Schooler, J. W. (2015). The Science of Mind Wandering: Empirically Navigating the Stream of Consciousness. Annual Review of Psychology, 66(1), 487–518. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-010814-015331

Die Autoren

Dr. Marc Niering
Dr. Marc NieringSport- und Neurowissenschaftler
Marc Niering ist seit 2021 bei Nordic Science als wissenschaftliche Leitung tätig. Er lehrt in den kognitiv-affektiven Neurowissenschaften, der Neurorehabilitation und Sportmedizin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Auswirkungen von kognitiven Stimuli auf Schmerz, Bewegung und Leistung sowie darauf aufbauende Therapieverfahren in der Neurorehabilitation.
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PD Dr. med. Johanna Seifert
PD Dr. med. Johanna SeifertFachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Johanna Seifert ist seit 2021 bei Nordic Science als medizinische Leitung tätig und arbeitet an der Medizinischen Hochschule als Oberärztin. Sie lehrt und forscht in den Bereichen Psychopharmakologie, Schizophrenie und Sportpsychiatrie.
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