Inhalte
- 1 Warum betrachten wir isometrisches Training in der Therapie?
- 2 Grundlagen des isometrischen Trainings
- 3 Neurologische Grundlagen des isometrischen Trainings
- 4 Anwendung isometrischen Trainings im therapeutischen Kontext
- 5 Evidenz bei orthopädischen Krankheitsbildern
- 6 Evidenz bei neurologischen Krankheitsbildern
- 7 Was bedeutet das für die Praxis?
- 8 Die Autoren
Warum betrachten wir isometrisches Training in der Therapie?
Isometrisches Training, also Training bei konstanten Muskellängen und Gelenkwinkeln, gewinnt im therapeutischen Kontext als Maßnahme zur Verbesserung der muskulären Funktion und Schmerzlinderung zunehmend an Bedeutung. In diesem Beitrag werden die Grundlagen des isometrischen Trainings beleuchtet, die neurologischen Prozesse dargestellt, ein Blick auf die vielfältigen Anwendungen in der Therapie geworfen und die Ergebnisse aktueller wissenschaftlicher Studien dargestellt.
Grundlagen des isometrischen Trainings
Isometrisches Training unterscheidet sich grundlegend von klassischem, dynamischen Krafttraining. Im Gegensatz zu dynamischem Krafttraining, bei dem Gelenkbewegungen und damit einhergehende Muskelkontraktionen einem Widerstand entgegenwirken, wird beim isometrischen Training die Spannung des Muskels bei gleichbleibendem Gelenkwinkel und somit gleichbleibender Muskellänge erhöht (Naugle et al., 2012). Oranchuk et al. (2019) zeigen in einer Meta-Analyse, dass diese Art von Training Veränderungen der physiologischen Eigenschaften wie Muskelarchitektur, Sehnensteifigkeit und -gesundheit, gelenkwinkelspezifisches Drehmoment und Stoffwechselfunktionen bewirkt. Wie bei jeder Form des Widerstandstrainings können auch bei der Durchführung isometrischen Trainings mehrere Variablen, wie beispielsweise der Gelenkwinkel oder Kontraktionsintensität und -dauer, verändert werden, um den Reiz zu variieren.
Ein Coach mit den Kenntnissen der physischen Anforderungen einer bestimmten Sportart, kann isometrisches Training nutzen, um sich auf spezifische Schwachstellen seiner Sportler in einem Bewegungsbereich zu konzentrieren, die sich positiv auf die Leistung und die Verletzungsprävention auswirken können. Außerdem sind isometrische Kontraktionen ein zuverlässiges Mittel zur Evaluation und Verfolgung von Veränderungen in der Kraftproduktion. Die Aussagekraft isometrischer Kraftwerte zur Vorhersage der dynamischen Leistung sollte jedoch immer kritisch hinterfragt werden.
Neurologische Grundlagen des isometrischen Trainings
Isometrisches Training nimmt nicht nur auf morphologischer, sondern auch auf neurologischer Ebene Einfluss auf den menschlichen Organismus und bietet aufgrund eines anderen Anforderungsprofils als dynamische Übungen weitere Anwendungsmöglichkeiten in diversen Kontexten. Isometrische Bewegungen sind weniger komplex und somit weniger anspruchsvoll für das Nervensystem (Yoon et al., 2014). Somit besteht ein geringeres Risiko von Schmerzen, da Schmerz im Gehirn entsteht und spezifische Aktivierungsmuster den Schmerz erlebbar werden lassen, die im isometrischen Training weniger vorhanden sind (Moseley, 2003; Trojan et al., 2014; Yoon et al., 2014; Faraj et al., 2021). Des Weiteren aktivieren isometrische Bewegungen den Insula-Kortex, der eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Schmerzsignalen hinsichtlich der Intensität und der emotionalen Bedeutung des Schmerzes einnimmt (Sander et al., 2010; Yoon et al., 2014; Ceunen et al., 2016; Di Lernia et al., 2016). Durch die ständige Aktivierung wird eine bessere Funktionalität im Insula-Kortex erreicht, sodass eine adäquatere Beurteilung der Intensität und der emotionalen Konnotation von Schmerz ermöglicht wird (Rogers et al., 2021). Diese Eigenschaft gibt uns besondere Relevanz bei chronischen Schmerzpatienten, die wir im weiteren Verlauf noch ansprechen.
Auch hinsichtlich der kortikalen Aktivierungen kann das isometrische Training als Ergänzung oder als Ersatz des dynamischen Trainings sinnvoll sein. Obwohl keine sichtbare Bewegung stattfindet, werden die gleichen bewegungssteuernden Hirnareale wie bei konzentrischen und exzentrischen Bewegungen aktiviert (Sander et al., 2010). Somit stellen isometrische Aktivierungen nicht nur eine muskuläre, sondern auch eine neuronale Beanspruchung dar, was im Hinblick auf die Leistungs- und Bewegungsoptimierung sehr wichtig sein kann. Dies unterstreicht die Bedeutung der zentralen Steuerung durch das Gehirn auch bei Übungen, bei denen keine sichtbare äußere Bewegung stattfindet.
Anwendung isometrischen Trainings im therapeutischen Kontext
Aufgrund der bereits angesprochenen Mechanismen wird isometrisches Training auch im therapeutischen Kontext angewandt, vor allem wenn verletzungs- oder schmerzbedingt keine dynamischen Übungen vom Patienten ausgeführt werden kann. Isometrisches Training zeichnet sich durch die einfache Durchführung und gute Kontrollierbarkeit aus, insbesondere bei Patienten, die nur in gewissen Gelenkwinkeln trainieren dürfen (Hartmann, 2021). Es ermöglicht im rehabilitativen und therapeutischen Bereich eine kontrollierte Kraftaufwendung innerhalb von schmerzfreien Gelenkwinkeln (Oranchuk et al., 2019). Somit kann eine Verbesserung von spezifischen Schwachstellen in bestimmten Bewegungsbereichen erreicht werden. Außerdem bietet isometrisches Training die Möglichkeit, eine vergleichsweise hohe Kraftbelastung herbeizuführen, da die maximale isometrische Kraft größer ist als bei konzentrischen Kontraktionen (Oranchuk et al., 2019).
Isometrische Kontraktionen können ebenfalls eine akute analgetische Wirkung (Hypoalgesie) haben, da die Erregungs- und Hemmungsfunktionen in den kortikomotorischen Bahnen verändert werden (Oranchuk et al., 2019). Somit können schmerzfreie dynamische Belastungen durch die vorherige Durchführung von isometrischen Kontraktionen ermöglicht werden. Dieses Konzept ist in der aktuellen Literatur jedoch kritisch diskutiert und auch von den zu Grunde liegenden Mechanismen noch nicht endgültig verstanden.
Durch isometrisches Training können außerdem Transfereffekte auf die kontralaterale Körperseite erzielt werden (Carr et al., 2019), was bei dynamischen Belastungen auch, jedoch weniger intensiv stattfindet. Somit bietet auch ein Training der gegebenenfalls gesunden Körperregion die Möglichkeit, wirksame Reize zur Rehabilitation der betroffenen Region zu setzen und die Therapie zu unterstützen.
Oranchuk et al. (2019) beschreiben, dass der Transfereffekt auf dynamische Bewegungen und Hypertrophie Effekte bei isometrischem Training mit einer höheren Muskellänge größer ist als bei Training mit geringer Muskellänge. Isometrische Kontraktionen mit hoher Intensität nehmen außerdem positiven Einfluss auf die Sehnenstabilität.
Evidenz bei orthopädischen Krankheitsbildern
Achilles- und Patellasehnentendinopathie: Einmalige isometrische Kontraktionen zeigen bereits kurzzeitige Hypoalgesie von bis zu 45 Minuten und können somit gezielt in der Therapie eingesetzt werden, um durch kurzzeitige Schmerzlinderung Schonhaltungen im Training vermeiden zu können (Rio et al., 2015).
Chronische Hand-, Knie- oder Schulterschmerzen: Maestroni et al. (2020) zeigen, dass isometrische Kontraktionen eine trainingsinduzierte Hypoalgesie (Schmerzlinderung durch Bewegung) hervorrufen.
Nackenbeschwerden: Eine Meta-Analyse von Senarath et al. (2023) zeigt, dass Hypoalgesie, vor allem durch isometrisches Training, im Vergleich zu anderen Trainingsformen hervorgerufen werden. Zwar rufen sowohl Range of Motion- als auch Kraftausdauer-Übungen ebenfalls diese Effekte bei Menschen mit chronischen Nackenbeschwerden hervor, jedoch sind bei chronischen Schmerzen auf Grund von Bewegungsangst dynamische Übungen häufig schwierig durchführbar, sodass isometrisches Training eine sinnvolle Lösung darstellen kann.
Generelle muskuloskelettale Beschwerden: Bonello et al. (2021) kamen zu inkonsistenten Ergebnissen hinsichtlich der Hypoalgesie nach isometrischem Training.. Es waren keine eindeutigen Beweise für das Auftreten einer trainingsinduzierten Hypoalgesie als Ergebnis eines isometrischen Trainings vorhanden. Die Evidenz für eine erhöhte Schmerzschwelle nach isometrischem Training bei Personen, die keine besonderen Symptome aufweisen, scheint jedoch konsistenter zu sein. Dies könnte für eine gewisse personelle Individualität bei der Empfindung der trainingsinduzierten Hypoalgesie sprechen.
Wirbelsäulendeformität: Bei Kindern konnte außerdem eine Verbesserung der Körperhaltung und der Aufbau eines starken Muskelkorsetts durch ein Rehabilitationsprogramm mit isometrischem Training erreicht werden (Paskaleva & Ivanova, 2013). Zusätzlich wurden positive Effekte bezüglich der Kraft- und Gleichgewichtsreaktion festgestellt (Paskaleva & Ivanova, 2013). Auch Lum und Barbosa (2019) berichten von Hypertrophie Effekten sowie von positiven Wirkungen isometrischer Übungen auf den Muskelaufbau und die Kraftentwicklung.
Evidenz bei neurologischen Krankheitsbildern
Schlaganfall: Isometrisches Training hat sich als wirksam erwiesen, um die Gehfähigkeit und das Gleichgewicht bei Schlaganfallpatienten signifikant zu verbessern, was zur Förderung der Selbstständigkeit beiträgt (Bansal et al., 2023).
Chronisches Fatigue Syndrom (CFS): Patienten mit CFS zeigten eine abgeschwächte kardiovaskuläre Reaktion auf isometrische Übungen, was sie als sinnvolle Komponenten innerhalb des Trainingskonzepts bei CFS zeigt (Wyller et al., 2008).
Alzheimer Demenz: Isometrisches Training kann besser als dynamisches Training dabei helfen, vaskuläre Risikofaktoren zu kontrollieren und so den kognitiven Abbau bei Alzheimer und leichter kognitiver Beeinträchtigung zu verzögern (Hess & Smart, 2017).
Fibromyalgie: Bei Fibromyalgie-Patienten führt isometrisches Training zu unterschiedlichen Effekten, von Schmerzlinderung bis hin zur Schmerzverstärkung, was auf zentrale Unterschiede in der Schmerzverarbeitung hinweist (Staud et al., 2005; Hoeger Bement et al., 2011).
Was bedeutet das für die Praxis?
- Isometrisches Training zeigt sich besonders sinnvoll wenn die Durchführung dynamischer Übungen noch nicht möglich oder auf Grund von Bewegungsangst und Schmerzerwartung weniger sinnvoll ist
- Die Effektivität dieser Trainingsform ist nachgewiesen, insbesondere durch trainingsinduzierte analgetische Effekte und die Wirksamkeit im Hinblick auf morphologische und neuronale Adaptationsprozesse
- Besonders wirksam kann isometrisches Training als Komponente zu Beginn des Trainings sein um im weiteren Verlauf schmerzreduziert belasten zu können
- Ein Training sollte in hohen Muskellängen (z.B. Kniebeuge >90°) und mit 45-60 Sek maximal belastende Haltezeiten durchgeführt werden um die Effekte zu maximieren
- Isometrisches Training eröffnet neue Perspektiven und Anwendungsmöglichkeiten im rehabilitativen Kontext durch gezielte und sichere muskuläre Aktivierung in konstanten, schmerzfreien Gelenkwinkeln
- Isometrisches Training alleine wird uns im funktionalen Kontext nicht zum Ziel führen und sollte im weiteren Verlauf mit anderen Trainingsformen kombiniert werden
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